In seinen glücklichsten Augenblicken hat Schiller sich „im Traum nach Rudolstadt versetzt", wie er 1788 Charlotte von Lengefeld bekennt, und nach seinen schönen Bäumen und Bergen gesehnt. Bei Goethe wird man vergebens nach so gefühlsbetonten Äußerungen suchen. Seine Beziehungen zu der kleinen Residenzstadt des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts kaum mehr als 4000 Einwohner zählte, waren nicht - wie bei dem späteren Freund - durch persönliche Bindungen bestimmt, sondern durch seine Tätigkeit am Weimarer Hof und durch seine wissenschaftlichen und künstlerischen Interessen.
Am 2. Juli 1781 brach Johann Wolfgang Goethe zusammen mit seinem
Freund Knebel von Ilmenau aus zu einer „kleinen
Exkursion in die Nachbaarschaft" auf und kam erstmals am 3. Juli 1781 nach
Rudolstadt. Auf der Durchreise. „Haben da
nur geschlafen", schreibt er Frau
von Stein am 5. Juli; er hatte in Rudolstadt selbst nichts zu erledigen.
Sein Anliegen war, wie er Exzellenz von Fritsch mitteilte, sich „mit den Bergwercken
in dieser Gegend bekannt zu machen". Im Februar 1777 war Goethe von Herzog
Carl August in die Kommission für Bergwerksangelegenheiten berufen und mit
deren Leitung betraut worden.
Die Kommission sollte die Wiederaufnahme des Bergbaus in
Ilmenau vorbereiten, der 1739 durch einen Wassereinbruch stillgelegt worden
war. Ende Juni 1781 reiste Goethe, begleitet von Hofrat Eckardt, zu einer
mehrtägigen Bergwerkskonferenz nach Ilmenau, um mit den Abgeordneten Kursachsens
und Sachsen-Gothas über die Ansprüche der beiden Staaten an das neu zu gründende
Bergwerk zu verhandeln. Sein unermüdlicher Einsatz für Ilmenau kostete ihn
Kraft und war mit Enttäuschungen und Rückschlägen verbunden. Seine Niedergeschlagenheit
Im Juni 1781 wurde durch seinen Zwiespalt zwischen den Aufgaben am herzoglichen
Hofe und seinen dichterischen Neigungen vertieft. In seiner bedrückten Stimmung
begrüßte er, dass er mit Knebel zu Pferde steigen und „in die Gebürge" gehen
konnte.
„Ich sehne mich recht von hier weg, die Geister der alten Zeiten lassen mir hier keine frohe Stunde", schreibt er an Charlotte von Stein am 2. Juli vor Aufbruch zur Reise, deren erstes Ziel Schwarzburgwar. Die „Geister der alten Zeiten" erinnern ihn an das ausgelassene Treiben in dieser Gegend in früheren Jahren. Drei Tage später schreibt er der Freundin, dass es ihm und Knebel wohlgegangen sei:
„Wir haben sehr manigfaltige Sachen gesehen, schöne Gegenden, und verschiedne Menschenerscheinungen in allerley Styl. Wir sind auf Schwarzburg das sehr interessant liegt, wie du aus einer leider nur umrissnen Zeichnung sehn wirst, gegangen. Von guten Menschen bewirthet worden, haben im Zucht- und Tollhaus merckwürdige Gestalten gesehn. Vorn da auf Blanckenburg ..."
Er hat im Zuchthaus Schwarzburg höchstwahrscheinlich die Verarbeitung von Döschnitzer Marmor gesehen. Zu jener Zeit fertigten die Häftlinge dort Gebrauchsgegenstände und Schmuck aus Alabaster und aus Abfällen von Marmorblöcken, die aus „Teschnitz" (Döschnitz) kamen. Vom Zeltablauf her ist anzunehmen, daß Goethe und Knebel am ersten Reisetag in Schwarzburg übernachteten und am 3. Juli die Reise nach Blankenburg fortsetzten. Eine heimatkundliche Untersuchung geht davon aus, daß Goethe in Schwarzburg in einem fürstlichen Neubau im Baumgarten wohnte, da er in die Scheibe des westlichen Fensters an der dem Schloss zugewandten Hausseite seinen Namenszug eingeritzt hat. Die Schönheit des Schwarzatals beeindruckte Goethe:
„NB. von Schwarzburg auf Blanckenburg ist ein fürtrefflicher Weeg der Schwarze nach, durch ein tiefes Thai zwischen Fels und Wald Wänden. Dann sind wir auf Rudolstadt."
In Blankenburg befahren sie die Bergwerke, wahrscheinlich die Kupfer- und Silbergruben bei Böhlscheiben und Watzdorf.
Für Goethe ist wichtig, dass er den alten Bergmeister Mühlberg gefunden hat, der in seiner Jugend im Ilmenauer Bergwerk arbeitete. „Er ist 72 Jahr alt und erinnert sich aller Vornahmen und Zahlen" und genießt laut Goethe „noch den Gebrauch aller Sinne und eines genauen Gedächtnisses". Goethe erhofft sich von Mühlberg gute Aufschlüsse über das Ilmenauer Bergwerk. Er bittet ihn, am Sonntag zu einem Kolloquium zu kommen. Der „Geschworene", der viel über das Bergwerk nachgedacht habe, sowie einige alte Bergleute sollen hinzugezogen und die Äußerungen und Resultate aufgezeichnet werden, damit Bekanntes noch sicherer werde, Zweifel sich heben und man auf neue Gedanken komme. Danach wollen sie zusammen in das Bergwerk einfahren und sich auch „unterirdisch überzeugen und unterrichten".
Nach der Übernachtung in Rudolstadt brechen Goethe und Knebel am 4. Juli früh nach Döschnitz auf, um sich den Marmorbruch anzusehen. Der Döschnitzer Marmor, ein silurischer Ockerkalk, der schnitt-, schleif- und polierfähig ist, wurde seit dem 17. Jahrhundert bis etwa Mitte unseres Jahrhunderts abgebaut. Mehr als 30 Jahre später konnte Goethe in der Heidecksburg die schönen Gangplatten aus Döschnitzer Marmor betrachten.
1782 erwägt er erneut, Rudolstadt zu besuchen. Diesmal plant er einen Besuch aller thüringischen Höfe. Am 12. Mai 1782 teilt er Charlotte von Stein aus Meiningen mit, er habe „als Gesandter eine förmliche Audienz bey beyden Herzogen gehabt". Der leise Spott, mit dem der 33jährige Goethe den überaus förmlichen Empfang beschreibt, macht bewusst, dass er solche Besuche nur als Pflicht empfand:
„... die Livree auf dem Saal, der Hof im Vorzimmer, an den Thürflügeln zwey Pagen und die gnädigsten Herrn im Audienz Gemach. Morgen geh ich nach Coburg dieselbe Comödie zu spielen, will in Hildburghausen mich auch an Hof stellen, und gegen Ende der Woche nach Rudolstadt gehn da ich einmal auf dem Weege bin und hiermit alle Thüringische Höfe absolviren. Von Rudolstadt schick ich einen Boten auf Kochberg zu hören ob du da bist."
In einem Brief an Knebel erwähnt er ebenfalls, dass er über Rudolstadt zurückgehen wolle. Im Fourierbuch des Rudolstädter Hofes ist Goethes Name in jenem Zeitraum allerdings nicht verzeichnet. Es war - wie die anderen Visiten, von denen er sprach - sicher nur ein „Absolviren", ein Höflichkeitsbesuch.
Gut 10 Jahre später, 1794, bittet der Rudolstädter Hof um Gastspiele der Weimarer Schauspieltruppe zur Zeit des Vogelschießens. Goethe, der seit 1791 Direktor des Weimarer Theaters ist, bekommt einen zusätzlichen Wirkungskreis.
Goethes erste Begegnung mit Schiller in Rudolstadt
Am 7. September 1788 trafen sich Goethe und Schiller im Hause Beulwitz/Lengefeld. Diese Zusammenkunft ist als „erste Begegnung" der beiden Dichter In Rudolstadt in die Literatur- und Regionalgeschichte eingegangen.
Erblickt hatten sich beide bereits, als Friedrich Schiller noch Eleve der Karlsschule war. Herzog Carl August und Johann Wolfgang Goethe besuchten auf ihrer Heimreise aus der Schweiz am 14. Dezember 1779 die Akademie des Schwabenherzogs Carl Eugen und nahmen im Neuen Schloß an einer Preisverleihung teil, bei der Schiller 3 Medaillen auf dem Gebiet der Medizin erhielt. Der 20jährige Schiller und seine Freunde verehrten seit Jahren den Dichter des „Götz" und des „Werther". Knapp 10 Jahre später beschließt die Begegnung mit Goethe für ihn die Idylle seines Rudolstädter Sommers.
Charlotte von Schiller weiß sich 1810 in ihrem Brief an Körner„noch zu besinnen, daß sie zusammen an der Saale herum gingen und Schiller sehr zufrieden mit dem Gespräch war." Schiller berichtet Körner einige Tage nach der Begegnung u.a.:
„Unsere Bekanntschaft war bald gemacht und ohne den mindesten Zwang. Freilich war die Gesellschaft groß und alles auf seinen Umgang eifersüchtig, als daß ich viel allein mit ihm hätte sein oder etwas anders als allgemeine Dinge mit ihm sprechen können ..."
Und doch ist in seinen Briefen an Körner die Enttäuschung unüberhörbar, da Goethe und er in Rudolstadt einander nicht näherkamen. Die von ihm ersehnte Annäherung stand im Zeichen einer Erwartungshaltung, die sich zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllte; dafür gab es natürliche Ursachen.
Caroline von Wolzogen spricht in ihrem Buch „Schillers Leben" ihre Erwartungen und die ihrer Familie aus:
„Höchst gespannt waren wir bei dieser Zusammenkunft und wünschten nichts mehr als eine Annäherung, die nicht erfolgte. Von Goethen hatten wir, bei seinem entschiedenen Ruhme und seiner äußern Stellung, Entgegenkommen erwartet, und von unserm Freunde auch mehr Wärme in seinen Äußerungen..."
In allen Meinungen über die Begegnung am 7. September 1788 bleibt unberücksichtigt, dass Goethe eigene Probleme hatte und für eine Annäherung innerlich nicht offen war. Er hatte gerade zu spüren bekommen, dass die Beziehung zwischen ihm und Charlotte von Stein gestört war. Die Herrin von Kochberg hatte am 5. September, wie Caroline von Herder ihrem Mann mitteilte, sie, Frau von Schardt und Fritz von Stein, die mit Goethe von Weimar nach Kochberg gefahren waren, freundlich empfangen, „doch ihn (Goethe) ohne Herz. Das verstimmte ihn den ganzen Tag." Sie hatte dem Freund nicht verziehen, dass er zwei Jahre zuvor heimlich nach Italien aufgebrochen war, ohne sie in seine Pläne einzuweihen.
Charlotte von Stein hatte Goethe so viel bedeutet, dass der in Kochberg deutlich gewordene Bruch nicht spurlos an ihm vorübergehen konnte. Außerdem beschäftigte ihn noch immer das überwältigende Italienerlebnis. Das war Schiller nicht entgangen. Er erwähnt Körner gegenüber, dass Goethe in Rudolstadt mit „leidenschaftlichen Erinnerungen von Italien" sprach, so dass er „die treffendste und gegenwärtigste Vorstellung von diesem Lande und diesen Menschen" bekam. Unausgesprochen blieb bei der Begegnung, dass Goethe mit neuen Kunstauffassungen heimgekehrt war und, wie er im Hinblick auf die „Erste Bekanntschaft mit Schiller 1794" schrieb, Distanz gegenüber künstlerischen Werken empfand, die daheim in großem Ansehen standen, ihn aber "anwiderten" und ihm „verhaßt" waren wie Heinses „Ardinghello" und Schillers „Räuber", letztere deshalb, „weil ein kraftvolles, aber unreifes Talent gerade die ethischen und theatralischen Paradoxen", von denen er sich „zu reinigen gestrebt, recht im vollen hinreißenden Strome über das Vaterland ausgegossen hatte ... Ich vermied Schillern, der, sich in Weimar aufhaltend, in meiner Nachbarschaft wohnte. Die Erscheinung des 'Don Carlos' war nicht geeignet, mich ihm näher zu führen ..." Als Schiller Körner gegenüber seine Zweifel äußert, ob er und Goethe einander je sehr nahe rücken werden, erkennt er:
„Vieles, was mir jetzt noch interessant ist, was ich noch zu wünschen und zu hoffen habe, hat seine Epoche bei ihm durchlebt."
In den wenigen Stunden dieses Rudolstädter Aufenthaltes besuchte Goethe auch das Brockenburgsche Naturalienkabinett - nicht das fürstliche. Prinz Ludwig Friedrich, der im Salon der Familie Beulwitz/Lengefeld verkehrte, vermerkt am 7. September 1788 in seinem Tagebuch:
„Kam der Herr Geheimerath Göthe mit den Herrn von Stein und noch einigen Domes nach Rudolstadt und speißte bei dem Herrn Hofrath von Beulwitz, lernte Schillern kennen und sah bei dem Herrn von Brockenburg das Naturalienkabinett."
Der Geheimrat und Berghauptmann C. A. G. von Brockenburg (1731 - 1790) war wie Fürst Friedrich Carl, zu dem er freundschaftliche Beziehungen hatte, am Sammeln interessiert und hatte ein eigenes Naturalienkabinett angelegt.
Auch wenn die Begegnung in Rudolstadt nicht Schillers Hoffnungen erfüllte, hatte sie Goethes Aufmerksamkeit erweckt. Als er im Beulwitzschen Salon ein wie zufällig daliegendes Heft des „Teutschen Merkur" bemerkte, in dem Schillers Gedicht „Die Götter Griechenlands" abgedruckt war, bat er, es mitnehmen zu dürfen, nachdem er hineingesehen.
Am 9. Dezember 1788 - ein Vierteljahr nach der Begegnung in Rudolstadt - beantragte er in einem Brief an das Geheime Konsilium „eine außerordentliche Professur auf der Jenaischen Akademie" für Schiller. Erst das Jahr 1794 brachte eine wirkliche Annäherung der beiden Dichter, als Schiller und Goethe nach einer Sitzung der Naturforschenden Gesellschaft in Jena miteinander ins Gespräch kamen.
Siebzehn Jahre zuvor hatte Goethe während seines ersten Romaufenthaltes auf dem Quirinalshügel die Dioskuren oder Rossebändiger, die in früherer Zeit in den Konstantinsthermen standen, mit Entzücken betrachtet. Nach seiner Ankunft in Rom eilte er am 3. November 1786, am Tage Allerseelen, mit Tischbein auf den Quirinalshügel, den man nach den Rossen der Dioskuren „Monte cavallo" nannte. „Weder Auge noch Geist sind hinreichend, sie zu fassen", schrieb er in der „Italienischen Reise" über diese Kolosse, die er für ein Werk des Phidias hielt.
Als Friedrich August Wolf, Professor in Halle, am 30. Mai 1805
für zwei Wochen zu seinen Weimarer Freunden reiste, kam man im Gespräch mit
Goethe auch auf den athenischen Bildhauer Phidias, den die Weimarer anders
bewerteten als Wolf. Man erinnerte sich der beiden Köpfe der Dioskuren „als
in Rudolstadt befindlich", wie wir von Goethe wissen. Sie standen seit 1804
in der Heidecksburg.
Wolf nahm die Gelegenheit zu einer Spazierfahrt nach Rudolstadt wahr, begleitet
von dem Kunsthistoriker Heinrich Meyer - nicht von Goethe. Aber der Besuch
auf der Heidecksburg blieb, „wie vorauszusehen war, ohne sonderlichen Erfolg:
denn er (Wolf) fand leider die beiden Riesenköpfe, für welche man bis
jetzt keinen schicklichen Raum finden können, an der Erde stehen, da denn
nur dem liebevollsten Kenner ihre Trefflichkeit hätte entgegenleuchten mögen,
indem jedes faßliche Anschauen ihrer Vorzüge versagt war ..."
Goethe hat die Köpfe der Kolosse erst 1817 betrachtet. Ein Brief Wilhelm von Humboldts an seine Frau deutet an, warum Goethe bei seiner Liebe für die Dioskuren nicht schon früher die Heidecksburg aufsuchte:
„Es ist sehr närrisch, daß die Fürstin von (Schwarzburg-) Rudolstadt eine ordentliche Antipathie gegen Goethe hat. Sie hat ihn nur bei Hofe gesehen, läßt sich aber auch gar nicht abstreiten, daß er nicht auch anderswo dieselbe Starr- und Steifheit habe. In ihm ist die Empfindung gegenseitig, und so gern er z.B. die Köpfe der Kolosse sähe, so kann er sich nicht überwinden, hinzufahren." (14.9.1810)
Indes hat Fürstin Karoline Luise die Werke des Dichters zur Kenntnis genommen. Charlotte von Schiller trug ihr im Frühjahr 1811 Teile aus der „Farbenlehre" vor und fand „warme Teilnahme".
„Manches hatte sie gleich verstanden und zurechtgelegt. Über
dieses Kapitel, welches 'Lücke' überschrieben ist, im zweiten Teil, hat sie
eine solche Freude, dass sie sagte, es sei ihr lieber wie die
'Wahlverwandtschaften', und sie hat ordentlich Ehrfurcht vor dem Meister bekommen."
Im Oktober 1817 war Goethes „Begierde, etwas dem Phidias Angehöriges mit Augen zu sehen", so lebhaft und heftig, dass er „an einem schönen sonnigen Morgen, ohne Absicht aus dem Hause fahrend", von seiner Leidenschaft überrascht wurde und „ohne Vorbereitung aus dem Stegreife nach Rudolstadt lenkte, und mich dort, an den erstaunenswürdigen Köpfen von Monte Cavallo, für lange Zeit herstellte."
In seinem Tagebuch notiert Goethe unter dem 10. Oktober 1817 eine Beschreibung der Heidecksburg, aus der man schließen kann, dass er die Fest- und Arbeitsräume im Westflügel noch nicht kannte:
„... Durch Gefälligkeit des Baudirectors die Zimmer, die darin befindlichen Kunstwerke, besonders aber auf der Galerie die 2 Köpfe der römischen Colossen betrachtet. In Gasthof zum Adler. Der Badeinspector ging aus, verschiedenes einzukaufen und zu bestellen. Betrachtung über die gesehenen Kunstwerke. Merkwürdige Decorationsbilder von Dietrich im französischen Boucherschen und Watteauschen Geschmack."
Goethe übernachtete vom 10. zum 11. Oktober im „Adler" und fuhr am nächsten Morgen um 7 Uhr nach Weimar zurück. Nichts deutet darauf hin, dass er der fürstlichen Familie einen Besuch abgestattet hätte; denn als er am 10. Oktober 1817 die Heidecksburg verließ, begegnete er auf der „Schütte" Frau von Lengefeld, die bei der Fürstin zum Tee gewesen war. Sie schreibt nach dem 10. Oktober 1817 an ihre Tochter Charlotte von Schiller:
„Denk nur: als ich neulich (am 10. Oktober) in die Stadt gehen will, steht mir Goethe im Wege auf der Schütte (vor dem Schlosse zu Rudolstadt). Er war recht freundlich und sagte, er könne mir eigentlich nicht sagen, wo er her komme noch wo er hingehe, er würde Dich aber bald sehen und Dir es sagen, daß Du mir es schreiben solltest. Es freute mich, ihn zu sehen, er sah so gut und ordentlich hübsch aus. Ich vermute, er hat die großen Köpfe bei uns gesehen, da er mit dem Baumeister war; dieser sagte, er sei vor meiner Stube gewesen. Es kann sein, ich war eben bei der jungen Fürstin zum Tee."
Gasthaus zum Adler 2003
Die Wiederbegegnung mit den Dioskuren bewegte Goethe so sehr, dass er eine Woche später Bolsseree sein Erleben schildert. Er ist sich dessen bewusst, dass „die schon seit zwölf Jahren, von mir ungeschaut, in Gypsabgüssen dort aufgestellt sind." Erstaunt stellt er fest, „daß unser anschauendes Gedächtniß das Erhabene so wenig als das Schöne festzuhalten vermag."
Goethe unterhielt zeitlebens nicht nur mit schöpferisch tätigen, ihm freundschaftlich verbundenen Menschen Kontakte, sondern er hatte praktischen Umgang mit vielen, auch in Rudolstadt, die sich mit einem konkreten Anliegen an ihn wandten. Seine Tagebücher und Briefe zeugen davon, mit welcher Gewissenhaftigkeit und Sachlichkeit er allen eine Antwort zuteil werden ließ und vereinzelt auch gefällig war.
Der Rudolstädter Kammerassessor August Karl Friedrich Werlich (1772 - 1833), von seiner Ausbildung her Jurist, seit 1807 Kustos des „Fürstlichen Naturalien-Cabinets", wandte sich im Januar 1811 an Goethe, da er sich auch mit naturwissenschaftlichen Untersuchungen beschäftigte und auf literarischem Gebiet erprobte. Er schickte Goethe eine handschriftliche Abhandlung über die mikroskopische Wurmförmigkeit der Oberfläche, machte ihn auf Dürers Gemälde „Bekehrung des St. Hubertus durch den Hirsch" aufmerksam, das in seinem Besitz war, und sandte Ihm schließlich auch noch seinen Roman „Amaranth", um sich gegen den Verdacht des Plagiats an Goethes „Märchen" abzusichern. Goethes Antwort zeigt, wie kenntnisreich und achtungsvoll er auf den Partner einging.
„An Karl Werlich
Die mir schon vor einiger Zeit zugesendete kleine Abhandlung erhalten Ew. Wohlgeboren hier mit vielem Dank zurück. An dem Phänomen selbst habe ich keinen Zweifel, ja ich erinnre mich, daß es mir vor geraumer Zeit durch den verstorbnen Batsch vor Augen gelegt und an vielen Gegenständen gewiesen worden. Er schrieb auch damals einen Aufsatz darüber, doch weiß ich nicht ob er je gedruckt worden. Es ist sehr verdienstlich, daß Ew. Wohlgeboren die Sache wieder zur Sprache bringen. Denn wenn es auch schwer seyn möchte, eine solche Erscheinung zu erklären, so ist es doch wichtig genug, die Allgemeinheit derselben durch so viele besondere Fälle durchzusetzen; ja eben durch diese Allgemeinheit erhält das Phänomen rein ausgesprochen schon ein theoretisches Ansehen. Sollten Sie weiter, sowohl in solchen Erfahrungen als auch in dem Nachdenken darüber und im Verknüpfen mit andren Erscheinungen vorschreiten, so bitte ich, mich an dem Gefundenen Theil nehmen zu lassen.
Das Gemälde wovon Sie mir melden, ist mir schon früher bekannt
geworden, und gehört mit unter die Gegenstände, um derentwillen ich mir schon
längst eine Tour nach Rudolstadt vorgenommen hatte. Sollten Sie einem Freunde
von mir zu einem größern oder kleinern Stück biegsamen Steins verhelfen können,
so würden Sie mir zugleich eine besondre Gefälligkeit erzeigen. Da ich bald
nach
Carlsbad gehe, so wird Frau Hofräthin von Schiller das weitre besorgen, wenn
Sie deshalb an dieselbe zu schreiben die Güte hätten.
Der ich mich mit besondrer Hochachtung unterzeichne
Weimar Ew. Wohlgeb.
den 8. May 1811 ergebenster Diener
J. W. v. Goethe"
Als Goethe sich 1821 für den Verkauf des Brockenburgschen Naturalienkabinetts verwendete, geschah dies möglicherweise auf Grund eines Stimmungsberichts, den Werlich 1820 in Okens „Isis" gab. Goethe überließ Fritz Schlosser eine Übersicht über diese Sammlung für die Naturforschende Gesellschaft.
Schlosser übermittelt ihm zögernd die Antwort Dr. Neuburgs, der viele Dubletten in jener Sammlung voraussetzt und auf die beschränkten ökonomischen Verhältnisse der Naturforschenden Gesellschaft hinweist. Goethe geht in seinem Antwortbrief vom 10.1.1821 nicht auf Schlossers Bitte ein, eine „beiläufige Nachricht gelegentlich" über den Preis des Kabinetts zukommen zu lassen, er bedankt sich für die der rudolstädtischen Sammlung erwiesene Aufmerksamkeit und schreibt: „Man soll nicht müde werden dergleichen Dinge anzubieten."
Zu Goethes Zeit wirkte in Rudolstadt der Hofmaler Heinrich Cotta (1791 - 1856) als Kupferstecher, Zeichner und Radierer. In Cottas Werk nehmen Darstellungen aus den Befreiungskriegen und Zeichnungen von Pferden einen besonderen Raum ein. Goethe kannte Bilder von Cotta. Im September 1824 sandte er dem befreundeten Archäologen und Anatomen d' Alton die lithografierte Abbildung eines Hengstes, den der Hofmaler Cotta gemalt hatte und für den sich Alton als Wissenschaftler interessierte. Es handelte sich, wie Goethe bekannt war, um einen Hengst, der von einigen Gothaern aus Steyermark nach Gotha geholt und, „weil man zu schnell Capital und Interesse aus seinen lebendigen Kräften herausziehen wollte, in kurzer Zeit offenbar getödtet" wurde. Genau beschreibt Goethe in seinem Brief an Alton die Farben und Besonderheiten des Hengstes, den er „selbst nicht gesehn, sondern nur das Gemälde".
Mehrfach hatte Goethe Kontakt mit dem Rudolstädter Bibliothekar und Archivar Ludwig Friedrich Hesse, der ihm im April 1818 nebst historischen Nachrichten zu Ruinen zwei „Lieferungen von Paulinzelle" schickte.
Freundschaftliche Beziehungen bestanden lebenslänglich zur Familie von Lengefeld, vor allem zu den beiden Töchtern. Man besucht sich gelegentlich in Weimar - da ist des öfteren die chere mere dabei - , sieht sich im Theater, man nimmt Anteil am Leben des anderen. Charlotte von Schiller und Caroline von Wolzogen verehren den Meister, und in Charlottes Briefen an ihre Söhne und Freunde spiegeln sich Besorgnis und Fürsorge für den alternden Goethe.
Den Musikern Max Eberwein und Methfessel, die am Rudolstädter Theater wirken, begegnet er mehrfach in Weimar, so auch bei offiziellen Anlässen am Hofe den Vertretern des Hauses Schwarzburg-Rudolstadt: dem Fürsten, dem Hofmarschall und Oberhofmeister von Ketelhodt oder dem Hofrat von Beulwitz. Goethes Verhältnis zu ihnen ist achtungsvoll und sachlich; es sind offizielle Kontakte.
Im Januar 1826 bedarf Goethe der Hilfe des Rudolstädter Fürsten: er bittet ihn - wie auch andere Fürsten- und Herzogtümer - für sich und seine Erben um Autorenschutz gegenüber einem unberechtigten Nachdruck seiner Werke. Der Fürst bestätigt in einem höflichen Schreiben die Erfüllung des Wunsches.
Für Goethes Beziehung zu Rudolstadt ist auch erwähnenswert, dass die Rudolstädter Freimaurerloge die Weimarer Loge „Anna Amalia" unterstützte, als diese sich neu konstituierte. Anfang März 1808 schlug Goethe dem Geheimen Regierungsrat Voigt nach Gesprächen mit Müller, Bertuch u.a. die Wiederbelebung der Loge „Anna Amalia" vor, die 1782 ihre Arbeit eingestellt, aber „auch ohne Logenverband" die „Maurerpflichten treu zu erfüllen gesucht" hatte. Da die Loge „Anna Amalia" nicht sofort förmlich eröffnet werden kann, wird - von Goethe in einer Beilage formuliert - die Rudolstädter Loge „Günther zum stehenden Löwen" darum gebeten, die sich in der Weimarer Loge meldenden Kandidaten als Mitglieder aufzunehmen. Man bittet weiterhin darum, bis zur förmlichen Eröffnung der Loge „Anna Amalia" in Rudolstadt teilnehmen zu dürfen.
Goethes Kontakte umspannen insgesamt weite Bereiche seiner Aufgaben als Staatsmann sowie seiner wissenschaftlichen und künstlerischen Tätigkeit. Wir finden in Rudolstadt Spuren, die zu ihm hinführen und dazu beitragen können, ihm und seinem Werk näher zu kommen.
Der Beitrag entstammt der Broschüre "Auf Goethes Spuren in Rudolstadt und Umgebung"